Auch wenn Camaret sur Mer ein wirklich nettes kleines Örtchen ist, so zieht es uns nun langsam weiter. Da die gesamte französische Atlantikküste stark von Gezeiten und Strömungen beeinflusst wird, planen wie die nächste Etappe so, dass wir möglichst für die gesamte Strecke mitlaufenden Strom haben.
Camaret sur Mer liegt ein paar Meilen innerhalb der Bucht von Brest. So lassen wir uns mit ablaufendem Wasser aus der Bucht herausziehen, um dann, wenn die Tide kippt, außerhalb der Bucht zu sein. So haben wir dann, wenn wir wieder Kurs Nord setzen können, mitlaufenden Strom.
An der Küste nordwestlich der Bucht von Brest liegen mehrere Inseln, doch zwischen den Inseln und dem Festland verläuft ein schmaler Kanal, der Chenal du Four. Durch diesen wollen hindurch, um nicht um all die Inseln herum fahren zu müssen, was die Strecke doch um Einiges verlängern würde.
Bei richtiger Berechnung der Strömung sei es schwer möglich, im Chenal du Four weniger als 6 Knoten zu machen, erzählt man uns. Und tatsächlich fahren wir mit bis zu 7,7 Knoten durch den Kanal, nur mit Motor, denn der Wind ist zu schwach zum Segeln. Normalerweise würden wir unter Motor nur etwa 4,5 Knoten Fahrt machen – wir wollen uns gar nicht ausmalen, wie langsam wir sein würden, wenn wir den Strom gegenan hätten…
Während unserer Fahrt durch den Kanal stößt Christoph mit seiner SY Infinite Loop nochmals zu uns. Er hat die vergangene Nacht bereits auf einer der Inseln vor Anker verbracht. Nun treffen wir uns zu einer kleinen Photo-Session im Kanal. Schließlich sind Photos vom eigenen Schiff unterwegs immer heißbegehrt. Die Sonne schenkt uns ein schönes Lächeln und blauen Himmel dazu.
Dann trennen sich Christoph und unsere Wege wieder. Christoph bleibt bei den Inseln, während wir weiter nach L`Aber Wrac`h fahren.
L`Aber Wrac`h liegt in einem kleinen Flüsschen. Da wir so schnell durch den Chenal du Four hindurch gekommen sind, haben wir bei unserer Ankunft in L`Aber Wrac`h sogar noch zwei Stunden mitlaufenden Strom. Wenn die Unterstützung durch den Strom auf den weiteren Etappen genauso gut funktioniert, würden wir uns wirklich freuen .
Endlich öffnet sich für uns ein kleines Fenster, um die Biskaya zu überqueren. Das riesige Azorenhoch mit seinem Keil über der Biskaya soll für ein paar Tage zurückgedrängt werden, bevor es sich voraussichtlich wieder ausbreiten wird.
Stefan hat während des Wartens noch ein nettes Programm in Internet entdeckt, mit welchem man sich den idealen Kurs für eine Strecke errechnen lassen kann. Unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Geschwindigkeit und des Segelverhaltens des Bootes errechnet das Programm mit Hilfe von Grib-Files den idealen Kurs für den Törn. Man kann in dem Programm auch eingeben, bis zu welcher Windgeschwindigkeit und bis zu welchem Kurs zum Wind man mit seinem Boot noch segeln kann – diese Daten werden dann mit berücksichtigt. Wir lassen uns einen Kurs berechnen, bei dem wir nur wenig motoren müssen. Motoren müssen wir sicher, denn leider soll sich mitten über die Biskaya noch ein kleiner Streifen Schwachwind ziehen.
Zur Mittagszeit sind wir bereit zum Ablegen und lösen die Leinen in A Coruña. Wir sind kaum aus dem geschützten Hafen, da bläst uns auch schon der Wind kräftig auf die Nase. Eigentlich sollte er laut Vorhersage zu Anfang noch etwas schwächer sein, doch immerhin kommt er aus der vorhergesagten Richtung – Nordost.
So setzen wir erst einmal Segel und segeln nach Nordnordwest um Höhe zu gewinnen und dann hoffentlich am 2. Segeltag direkten Kurs auf Brest setzen zu können, dann mit Wind aus Nordwest. Für den 3. Tag ist sogar Südwestwind angesagt, so dass wir das letzte Drittel voraussichtlich achterlichen Wind bekommen, der uns direkt in die richtige Richtung bringen soll.
Zu Anfang kommen wir ganz gut voran, doch Welle und Schwell sind unangenehm. Trotz Segel rollt unsere THO kokkino kräftig in den Wellen, die aus West kommen und so gegen den Wind stehen. Doch nach und nach lässt der Wind etwas nach, dreht, wie vorhergesagt, nordwestlich und mit zunehmender Wassertiefe werden auch die Wellen angenehmer.
Die Wettervorhersage ist ziemlich exakt. Am 2. Tag müssen wir den Motor nutzen, um durch den Hochkeil hindurch zu kommen, danach können wir wieder segeln. Der Wind fällt immer achterlicher ein und bald ist präzises Steuern angesagt, damit die Segel nicht ungewollt die Seite wechseln. Mit der Kursänderung nach Brest laufen dann auch die Wellen in unsere Richtung und schieben uns anstatt uns zu bremsen. Kurzfristig stehen immer wieder 7,5 Knoten auf der Uhr, doch meist liegt die Geschwindigkeit eher bei 5,5 – 6,5 Knoten bei mitlaufendem Strom, bei Gegenstrom etwa 2 Knoten darunter.
Gerade als wir uns dann mitten in der Nacht dem Frachtverkehr auf der Route zwischen Oushant und dem Kap Finisterre nähern, fällt dann unser passives AIS aus. Zwar befinden sich die Frachtschiffe mitten auf der Biskaya in keinem Verkehrstrennungsgebiet, somit gelten die normalen Kollisionsverhütungsregeln, doch wollen wir es darauf auch nicht ankommen lassen. Eigentlich würde uns das AIS auf dem Navigationslaptop anzeigen, in welchem Abstand uns die Frachter passieren und ob sie eine potentielle Gefahr für uns dastellen, doch aus unerfindlichen Gründen stellt es pünktlich zur Rush Hour den Dienst ein. So müssen wir uns notgedrungen auf unsere Augen verlassen und anhand der Lichter abschätzen, ob der Abstand zu den Frachtschiffen passt oder nicht. Teilweise kommen uns die Kolosse ganz schön nahe, doch gefährlich wird uns zum Glück keiner. Nachdem wir dann wieder genug Wegstrecke zwischen uns und den Frachtverkehr gebracht haben, meldet sich dann das AIS wieder zurück – zum Pausieren hätte es sich gerne einen anderen Zeitpunkt wählen können.
Es dauert nicht lange und die Tage fließen ineinander über. Unser Wachrhythmus beträgt zwei Stunden. Die Tage und Nächte bestehen aus Wache gehen und schlafen. Zu Beginn fällt das Einschlafen noch schwer, der Rhythmus ist zu ungewohnt, doch mit jeder abgeleisteten Wache wird es besser. Auf diese Weise sind wir den ganzen Törn über recht fit und als gegen Abend des dritten Tages nur noch 35 Meilen bis Camaret sur Mer verbleiben, macht sich bereits die Euphorie des Ankommens auf der anderen Seite breit. An Schlaf ist auf den letzten Meilen nicht mehr zu denken.
Normalerweise vermeiden wir es gerne, des Nachts in einen fremden Hafen einzulaufen, doch bei einer Strecke von 380 sm lässt sich die Ankommenszeit leider nicht mit Gewissheit berechnen. Es ist bereits nach Mitternacht, als wir die Zufahrt nach Camaret sur Mer erreichen. Glücklicherweise ist das Fahrwasser gut befeuert und der Schiffsverkehr, der das Fahrwasser kreuzt, hält sich in Grenzen.
Tonne für Tonne haken wir ab, bis wir an der Hafeneinfahrt sind. Diese sorgt dann kurz für etwas Verwirrung. Vor dem Hafen ist ein befeuerter Wellenbrecher, doch das Feuer steht, entgegen der Beschreibungen, nicht am Ende des Wellenbrechers, sondern mittig. Hinter dem Wellenbrecher soll man im rechten Winkel in den Hafen abbiegen. Doch wir haben uns eine gute Nacht ausgesucht: der Mond und die Sterne scheinen hell, so dass wir trotz der Dunkelheit recht gut sehen können. Mit Unterstützung eines Handscheinwerfers machen wir das Ende des Wellenbrechers aus und die Einfahrt in den Hafen.
Angeblich soll der Hafen gut beleuchtet sein und Fingerstege zum Anlegen haben. Beides ist nicht zutreffend. Der Hafen ist stockfinster und die Fingerstege sind nicht vorhanden. Wir tasten uns in den Hafen vor und sehen überall längsseits liegende Schiffe. Der Hafen ist proppevoll. So drehen wir eine Ehrenrunde, wenden in dem kleinen Hafenbecken und fahren wieder aus dem Hafenbecken hinaus. Beim Wenden entdecken wir ein freies Plätzchen auf der Außenseite der Hafenanlage, kurz vor den kleinen Stegen für die einheimischen Motorboote. Da wir gerade Hochwasser haben, legen wir ohne große Bedenken bezüglich Wassertiefe an. 8 Meter Wassertiefe zeigt uns die Logge vor Ort an, das sollte auch bei Niedrigwasser kein Problem werden.
Um 01.40 Uhr Ortszeit liegen wir Steg in Camaret sur Meer. Noch ziemlich aufgekratzt genießen wir ein Anlegerbier und lassen ein wenig unsere Biskaya-Überquerung Revue passieren. Doch noch haben wir gar nicht richtig realisiert, dass wir angekommen sind.
Insgesamt sind wir mit der Überquerung zufrieden. Wind und Wetter waren in etwa wie vorhergesagt, das ausgesuchte Fenster war gut, die Mannschaft ist gesund und munter, die Manöver haben alle gut geklappt, es ist nichts zu Bruch gegangen, wir haben ungefähr die Zeit gebraucht, die wir gedacht haben und wir haben sogar fast genau den Kurs gesteuert, den Stefan neues Programm „Squid“ errechnet hat. Jetzt werden wir uns erst einmal gut ausruhen, viel schlafen und uns in den kommenden Tagen Camaret sur Mer ansehen.